Wie viel Erotik braucht ein Liebesroman? Wenn es nach TikTok-Hypes geht: Eine ganze Menge. Aber ist das wirklich so oder lässt uns die BookTok-Community einen einseitigen Blick auf ein vieldiskutiertes Thema werfen?
Liebesroman ist nicht gleich Liebesroman
Was gerne bei dieser Diskussion vergessen wird, ist, dass nicht jeder Liebesroman gleich ist. Das Genre ist riesig und umfasst eine Vielzahl von Untergenres, die mal mit mehr, mal mit weniger Erotik auskommen. Während Dark-Romance-Bücher beinahe immer von Sexszenen leben (diese dürfen auch gerne kinky* sein), sieht das bei klassischer Frauenliteratur schon ganz anders aus. Wenn du also wissen möchtest, mit welcher Intensität du Sexszenen in deinen Liebesroman einbauen kannst, musst du dir im Klaren darüber sein, welches Genre du bedienst und wie die Erwartungen deiner Lesenden sind.
Was genau ist aber Erotik in Liebesromanen?
Seitenlange, ausführlich beschriebene Sexszenen, in denen sämtliche Spielzeuge ausprobiert werden? Ein dominant agierender Love Interest, der die Protagonistin bei der Kehle packt und ihr versaute Worte ins Ohr raunt? Oder vielleicht doch eher der knisternde erste Kuss? Das ungeschickte Übereinanderherfallen, nach dem sich zu lange zurückgehalten wurde? Vielleicht sogar nur eine ungeplante Berührung zwischen zwei Menschen, die sich vorher auf den Tod nicht ausstehen konnten?
Nichts davon ist falsch. Nichts davon ausschließlich richtig. Erotik in deinem Liebesroman ist das, was du daraus machst. Fakt ist nur: Lesende von Liebesromanen lieben es, wenn es knistert. Muss das im Bett enden? Müssen wir wissen, wer seine Körperteile wohin steckt? Nein. Wollen wir es manchmal wissen? Unbedingt.
Genau wie bei allen anderen Entwicklungen in einem Buch ist auch die romantisch-sexuelle eine, die Sinn ergeben muss. Knisternde Momente entstehen dann, wenn sie eine logische Konsequenz der Charakterisierung sind, eine logische Konsequenz auf die Beziehung, die zwischen deinen Hauptfiguren entsteht. Ein absoluter Good Guy mit sanfter Natur, der seine Partnerin plötzlich ans Bett fesselt und mit Orgasmen foltert? Eher unglaubwürdig. Ein ganz harter Kerl mit viel Erfahrung, der die Protagonistin höflich bis liebevoll behandelt und sein wahres Ich zurückhält, weil sie noch Jungfrau ist? Genauso unglaubwürdig.**
Welchen Einfluss BookTok auf das Schreiben von Spice-Szenen hat
Wer viel in den sozialen Medien (insbesondere auf TikTok) unterwegs ist, stellt schnell ein wiederkehrendes Thema fest: Dominante Männer, gerne direkt mehrere davon (Grüße gehen raus an Reverse-Harem-Schreibende!), und Kink scheinen unter Lesenden sehr beliebt zu sein – und sich gut zu verkaufen. Und gut verkaufen wollen wir doch alle!
Also denken wir darüber nach, mehr davon in unsere Bücher einzubauen. Mehr Spice zu schreiben, obwohl das eigentlich gar nicht unser Ding ist, aber von irgendwas müssen wir ja leben, und wenn das das Einzige ist, was hilft?
Die BookTok-Community ist zwar groß, aber im Vergleich zur gesamten deutschen Leserschaft doch nur ein Bruchteil – die meisten Verkäufe finden immer noch im stationären Buchhandel statt. Wir müssen also unsere Geschichten gar nicht an die Plattform anpassen, sondern unsere Werbeplattformen entsprechend auswählen.
Erotische Szenen schreiben – aber richtig!
Was aber, wenn du mehr Spice schreiben möchtest? Das ist super! Denn Sex in Büchern ist auch ein Stück weit Emanzipation und damit geil. Es ist aber auch noch mehr als das, gerade, wenn du für ein jüngeres Publikum schreibst.*** Dann trägst du nämlich auch eine Verantwortung, du hast quasi einen Bildungsauftrag und solltest dafür sorgen, dass deinen Lesenden der Unterschied zwischen Fiktion und wahrem Leben klar ist.
Dafür hast du mehrere Optionen:
Die einfachste? Du baust eine liebevolle, gleichberechtigte Partnerschaft mit – gerade für unerfahrenere Menschen – echtem, vertrautem Sex ein. Wichtig dabei: Einverständnis, Verhütung und realistische Orgasmen (oder eben nicht, nicht jede Frau kann von penetrativem Sex kommen!).
Ist dir zu langweilig? Wie wäre es dann mit einer ebenso aufgebauten Partnerschaft, in der vertrauensvoll über die eigenen Bedürfnisse kommuniziert wird? Wenn die Fronten geklärt sind, kann gar nicht erst der Eindruck einer toxischen Beziehung entstehen – im Gegenteil, genau wie im echten Leben könnten auf diese Weise kinky Vorlieben normalisiert und in einem sicheren Raum erforscht werden. Damit kannst du junge Menschen sogar in ihrer sexuellen Selbstfindung unterstützen.
Ist dir auch zu langweilig? Du willst dich lieber den ganz harten Themen wie Dubcon/Noncon****, Stalking, Kidnapping und Co. widmen? Vollkommen in Ordnung, auch dafür gibt es ein großes Publikum, aber mach bitte deutlich, dass eine darauf basierende Liebesbeziehung im echten Leben weder normal noch erstrebenswert ist. Das machst du im Idealfall mit einer Content Warnung und einem Hinweis darauf, dass dein Buch erst für Lesende ab 18 Jahren geeignet ist. So können auch Eltern und Angestellte in Buchhandlungen entscheiden, welcher Stoff für Minderjährige empfehlenswert ist und welcher nicht.
Fazit
BookTok sei Dank haben wir oft das Gefühl, wir müssten uns für die Buchwelt verbiegen, aber die Realität sieht anders aus. Es gibt genug Lesende, die gut und gerne auf explizite Szenen in ihren Büchern verzichten möchten. Genauso gibt es aber auch eine Vielzahl an Menschen, die gerne über Sex in all seinen Facetten lesen. Du allein entscheidest, wie viel Erotik du in deinen Liebesroman einbauen möchtest. Sei dir dabei nur deiner Verantwortung bewusst – und zeige dich tolerant den Schreibenden gegenüber, die eine andere Einstellung zum Thema haben als du. Schließlich wollen wir weiterhin dafür sorgen, dass unsere Bücher genauso bunt sind wie unsere Gesellschaft.
* Kink = Zusammenfassender Begriff für alle sexuellen Vorlieben, die von der Norm abweichen (z. B. BDSM, Voyeurismus …)
** Ausnahmen bestätigen die Regel. Wenn du gute Gründe für ein Verhalten hast, das deiner Charakterisierung widerspricht, kann das auch sehr spannend sein!
*** Konkret: Young oder New Adult, Romantasy, aber dank BookTok inzwischen auch Dark Romance.
**** Dubcon = Dubious Consent; Noncon = Non Consent stehen für zweifelhafte bis keine Einverständnis zum Sex. Was im normalen Leben zu sexueller Nötigung oder Vergewaltigung zählen würden, kann auch eine Fantasie sein, die im Dark-Romance-Bereich gerne genutzt wird.
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DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS
Kim Leopold
Kim Leopold wurde 1992 geboren und lebt derzeit mit ihrer Familie im schönen Münsterland. Schreiben und Reisen gehören zu ihren Hobbys, die sie gerne verbindet, indem sie ihre Handlung an Orten spielen lässt, die sie schon besucht hat. Mit dem Schreiben hat sie schon früh begonnen, am liebsten schreibt sie Geschichten für junge Erwachsene. Besonders am Herzen liegen ihr dabei alle Facetten von mentaler Gesundheit.
Instagram: @kim_leopold
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Copyright Autorinnen-Foto: Kim Leopold